
Am Freitag, den 6. Juni 2025 findet ein Prolog für FMR 26 rund um den Linzer Schlossberg statt. Dabei werden erste Ideen und Konzepte von FM[Ai]R-26-Residency-Artists und Studierenden der Kunstuniversität Linz präsentiert, die einen Vorgeschmack auf die nächste reguläre Ausgabe von LINZ FMR geben, die im Juni 2026 stattfinden wird. Dazu gibt es Vorträge (kuratiert von Davide Bevilacqua / servus.at) sowie Sound Art und Konzerte (kuratiert von qujOchÖ).
Programm:
14:00 – 15:00 Uhr: Eröffnung & Begrüßung (Schlossmuseum Eingang West)
15:00 – 20:00 Uhr: Präsentationen & Vorträge (rund um den Schlosspark)
20:00 – 24 Uhr: Sound Art & Konzerte (Schlosspark Burgmauer Nordwest)
FMR 26 Prolog Lecture Abstracts and Bios
Anna Kraher
What a Wonderful World: Big Tech and the Politics of Isolation
Dieser Vortrag untersucht, wie die Zukunftsvisionen von Big Tech – von privatisierten Städten und Weltraumkolonien bis hin zu Bunkern für den Weltuntergang – eine zunehmend ausgeprägte „Politik der Isolation“ widerspiegeln. Solche Projekte markieren den Rückzug der Tech-Elite aus einem gemeinsamen gesellschaftlichen Boden: von Unternehmen geführte Territorien dienen als Rückzugsräume jenseits rechtlicher und regulatorischer Rahmenbedingungen, Bunker als Flucht vor ökologischen Grenzen, Weltraumkolonien als Abkehr von der Erde selbst. In dieser Weltsicht wird Freiheit als Flucht vor Verantwortung und dem Kollektiv verstanden.
Doch diese isolationistischen Strategien beruhen auf globalen Arbeits- und Ausbeutungssystemen. Was als Abgrenzung erscheint, ist tatsächlich ein ausbeuterisches Verhältnis. Dies spiegelt auch rechtspopulistische Ideologien wider, die Zugehörigkeit durch Abgrenzung versprechen und einen gemeinsamen Boden behaupten, wo in Wahrheit Ungleichheit und Ausbeutung herrschen. Im Zentrum steht ein liberaler Freiheitsbegriff – gegründet auf Eigentumsrechte, uneingeschränkte Mobilität und den Rückzug aus kollektiver Verantwortung.
Für die Tech-Elite eröffnet sich so eine vermeintliche Fluchtroute aus einer krisengeschüttelten Welt – während die Mehrheit gezwungen ist, sich den Folgen eines kollabierenden Planeten zu stellen. Demgegenüber steht die Idee einer „Freiheit zu bleiben“ – einer Freiheit, die auf der Bewahrung einer gemeinsam bewohnbaren Welt basiert und das Recht einschließt, präsent zu bleiben.
Anna Kraher (sie/ihr) ist Forscherin an der Schnittstelle von kritischer Philosophie, Medientheorie und Kunst. In ihrer wissenschaftlichen und künstlerischen Praxis untersucht sie die gesellschaftlichen Implikationen von Künstlicher Intelligenz (KI) und Big Tech – mit besonderem Fokus auf das Zusammenspiel von KI-Ideologien, prädiktiver Analytik und unterschiedlichen Zeitlichkeiten. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe „Ethik und kritische Theorien der KI“ an der Universität Osnabrück. Sie studierte Design & Computation, Informatik und Gender Studies in Berlin. → Anna Kraher
Valerie Messini
Against the Flat Net: Affective Interfaces and Dimensional Archives
Der Vortrag kritisiert das zeitgenössische Internet – häufig als Web 2.0 bezeichnet – aus medientheoretischer Perspektive, geprägt von der Idee medienzentrierter Wahrnehmung, Affekttheorie und cyberpunkartigen Imaginationen. Er zeichnet die Entwicklung von der frühen netz-utopischen Aufbruchsstimmung hin zur heutigen algorithmischen Vereinnahmung nach. Wo das Internet einst als konsumfreier Raum galt, gestaltet von Programmierer*innen, werden wir heute durch intransparente Interfaces geformt – gestaltet zur Kontrolle, Ablenkung und extraktiven Nutzerbindung.
Ich schlage eine Alternative vor: räumliche, multi-user*innen-fähige und stärker sinnlich eingebundene Interfaces, die physische und digitale Räume wieder miteinander verbinden – als Gegenentwurf zur eindimensionalen Feed-Logik des Doomscrollings und der Nutzer*innenpassivität. Statt nur die „bösen Algorithmen“ zu kritisieren, soll der Fokus auf das Interface selbst gelenkt werden – Navigation, Zugang und Interaktion müssen neu gedacht werden.
Mit künstlerischen und spekulativen Ansätzen skizziere ich einen digitalen Raum, der weniger auf Konsum und mehr auf situierte, affektive Ko-Präsenz ausgerichtet ist – ein Archiv, durch das man sich bewegen kann wie durch einen Raum, das in Echtzeit geteilt und über das Interface gefühlt werden kann, nicht nur gesehen. Ein radikaler Begegnungsraum, der große Distanzen überbrücken und soziale Hierarchien auflösen kann – in dem Identitäten fluide und Begegnungen frei von physischen oder institutionellen Einschränkungen sind. Dies ist sowohl eine Kritik bestehender Paradigmen als auch ein Aufruf, anders zu gestalten.
Valerie Messini ist Architektin, Digitalkünstlerin und Postdoc Senior Scientist am Weibel Institut für Digitale Kulturen der Universität für angewandte Kunst Wien. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen digitaler Technologien und Entwurfswerkzeuge auf Raum, Identität und Wahrnehmung – mit besonderem Fokus auf immersive Medien, virtuelle Umgebungen sowie die Konzepte des Nichts und der digitalen Natur. Ihre Dissertation mit dem Titel „void set – about emptiness in virtual space“ schloss sie 2024 ab. Die Arbeit wurde zunächst von Peter Weibel, später von Clemens Apprich betreut. Valerie hat in internationalen Fachzeitschriften publiziert und ihre Forschung auf zahlreichen Konferenzen in Europa vorgestellt. 2011 absolvierte sie ihr Architekturstudium (Studio Prix) an der Universität für angewandte Kunst Wien mit Auszeichnung. Sie arbeitete als Entwurfsarchitektin für renommierte internationale Büros wie Coop Himmelb(l)au (AUT), Snøhetta (NO) und Flying Elephant Studio (IN) und realisierte gemeinsam mit der Künstlerin Eva Schlegel großformatige Installationen. 2017 wurde sie als Architektin (ZT) lizenziert. 2018 gründete sie gemeinsam mit Damjan Minovski die Plattform 2MVD, eine künstlerische Kollaboration, die Architektur mit digitalen Kunst- und Technologiediskursen verbindet. Ihre Arbeiten wurden international in Museen, Galerien und auf Festivals ausgestellt. Seit 2013 ist Valerie auch in der Lehre tätig – mit einem Schwerpunkt auf neuen digitalen künstlerischen Strategien. Darüber hinaus organisiert sie regelmäßig Exkursionen, Veranstaltungen und kuratiert gelegentlich Ausstellungen. → Valerie Messini
Luka Prinčič
trans.fail/combodagen
trans.fail ist ein audiovisuelles, konzeptuelles und künstlerisches Framework: eine glitchige Hybrid-Performance, die Daten und Transformationen aus unterschiedlichen Kanälen speist – Medienübersättigung, selbst entwickelte Software, klangliche Erkundungen und visuelle Algorithmen, Hacks, Glitches – sowie eine Vielzahl thematischer Hintergründe: slawisch-romani Myth-Futurismen, Geschlechterfluidität, Imperialismus, Medientheorien, künstlerische Praxis und Kritik am digitalen Kapitalismus.
/combodagen ist eine weitere Komplexitätsstufe dieses konzeptuellen Rahmens. Sie bringt Fragen nach Gemeinschaft, Körper und Handlungsmacht in eine livecodierte audiovisuelle Performance ein. Die Rolle selbstorganisierter Gemeinschaften autonomer Akteur*innen in einem dezentralen und föderierten Netzwerk ist entscheidend für die "Lebendigkeit" von Livecoding als Kunstform.
Luka Prinčič ist Musiker*in, Sounddesigner*in und Medienkünstler*in. Seit Mitte der 1990er-Jahre schreibt Luka Musik, erschafft Klangkunst, tritt live auf und experimentiert auf vielfältige Weise mit neuen Medien. Der Schwerpunkt liegt auf Computermusik, ausgefeilten Funk-Beats, immersiven Klanglandschaften, Begleitmusik für Live-Art und Video sowie digitalen Medienexperimenten. Lukas Livecoding-Performances wurden als „eine Erfahrung reiner Computermusik“ beschrieben, „die sich auf das Erbe von IDM und zeitgenössische experimentelle Strömungen stützt und cineastische, ambientartige Klangwelten schafft, die ein Gefühl von Einsamkeit im Cyberspace hervorrufen“ (J. Bužinel). Als Veteran*in der slowenischen Breaks- und Bass-Clubszene legt Luka seit Ende der 1990er-Jahre Sets im Spektrum von Breakbeat über UK Bass bis hin zu experimentellen Formen auf und organisiert regelmäßig Clubnächte in Ljubljana. Luka trat bei Festivals wie Iklectik (London), Ars Electronica (Linz), EMAF (Osnabrück), Netmage (Bologna), MENT (Ljubljana) und Trouble (Brüssel) auf, arbeitete im Ljubljana Digital Media Lab (Ljudmila) und im lokalen Hackerspace CyberPipe (Ljubljana), kooperierte mit feministischen Festivals wie City of Women und Red Dawns, stellte in der Kapelica Gallery, im Museum of Modern Art und im MSUM Ljubljana aus und war mit Arbeiten in ganz Europa und darüber hinaus unterwegs. Luka engagiert sich leidenschaftlich für Freie Software, Science-Fiction, gesellschaftliches Bewusstsein, kritische Ausdrucksformen und die Eigenheiten der gegenwärtigen menschlichen Verfassung. Aktuell arbeitet Luka am Emanat Institute und betreibt in Ljubljana das Netlabel Kamizdat – eine Plattform für abenteuerlustige Musik. → Luka Prinčič
REINCANTAMENTO
A Road to Nowhere: Stories of Techno-Escapism
Was passiert, wenn Exit-Fantasien zu Weltentwürfen werden? Von digitalen Nomad*innen, die neo-rurale Träume pflegen, bis hin zu Milliardär*innen, die Netzwerkstaaten aus dem Boden stampfen – REINCANTAMENTO kartiert die Techno-Phantasien des Ausstiegs. Ausgehend von ihrer Forschung zu digitalen Gärten untersucht das Kollektiv, ob diese neuen Grenzmythen tatsächlich autonome Räume schaffen – oder lediglich bestehende Machtstrukturen in neue, virtuelle und physische Territorien übertragen.
Zwischen Berlin und Italien angesiedelt, ist REINCANTAMENTO ein unabhängiges Kollektiv aus Forschenden, Philosoph*innen und Designer*innen, das sich mit den komplexen Verflechtungen von Technologie, Magie und Gesellschaft auseinandersetzt. REINCANTAMENTO nutzt imaginative Praktiken, autonome Publikationsformate und kritisches Game Design als Werkzeuge, um dominante technopolitische Strukturen zu dekonstruieren und neue Orte verzauberter Hoffnung zu schaffen. Das Kollektiv nimmt die prekären Bedingungen kultureller Arbeit bewusst an und versteht sich selbst als ewiges Work-in-Progress. Als Chor pluraler Stimmen verweigert sich REINCANTAMENTO der Falle fester Identitäten und sieht sich als Teil eines größeren gemeinsamen Horizonts für alternative, vernetzte Zukünfte. Projekte des Kollektivs wurden u. a. in der Serpentine Galleries & RadicalXChange, bei SAVVY Contemporary, NYU Design and Media, dem C/O Digital Festival 2022, im MoCa, MacTe, beim AMRO Festival, dem 48h Neukölln Festival 2023, MANIFEST\:IO, IAM Festival 2021 sowie auf verschiedenen Online-Plattformen gezeigt. Alessandro Y. Longo ist Philosoph und Forscher mit Sitz in Berlin. Seine Forschung beschäftigt sich mit subversiven Anwendungen von Technologie, kooperativen Wirtschaftsmodellen und kulturellen Mutationen im Zeitalter digitaler Netzwerke. Er ist Gründer von REINCANTAMENTO – einem Forschungs- und Publikationskollektiv, das imaginative Praktiken und Methoden des kritischen Game Designs einsetzt, um technopolitische Machtarchitekturen zu untersuchen und Räume utopischer Möglichkeiten und verzauberter Sehnsüchte zu eröffnen. Anna Fasolato ist Kulturmanagerin und Forscherin in Berlin mit einem Hintergrund in Kultur- und Medienwissenschaften. Ihre Forschung konzentriert sich auf Risiken im Bereich Datenschutz und Privatsphäre, die durch die rasante Digitalisierung des Alltags entstehen. 2024 erhielt sie ein Forschungsstipendium an der Universität Turin, wo sie an einem Projekt zu den Auswirkungen von KI auf Bildung mitwirkt. Aktuell ist sie bei SAVVY Contemporary, einem kulturellen und gemeinschaftlichen Kunstraum in Berlin, als Projektmanagerin und Verwaltungsassistentin tätig – mit einem besonderen Interesse an nicht-hierarchischen Organisations- und Entscheidungsstrukturen. → REINCANTAMENTO
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Beim FMR 26 Prolog nehmen außerdem die an FMR 26 beteiligte Künstler*innen, Forscher*innen und Musiker*innen teil:
- FM[Ai]R-26-Residency-Artists: Clair Bötschi (DE), Selma Kjesen (SE), Lila Rui Lan (CN), †een▲ge g☺d (FR) und YuFu (CN).
- Kunstuniversität Linz, Abteilung für Plastische Konzeptionen / Keramik (unter der Leitung von Sarah Decristoforo und Frank Louis): Jacob Bartmann, Magdalena Berger, Leonie Brunner, Ivy Deacon, Sonnhild Essl, Jieun Kim, Elena Lengauer, Caroline Lerbro, Lisa Maier, Katharina Mitter, Maria Nalbantova, Mani Ramhormozihoseinizadeh, Louisa Roubik, Helena Sekot, Yao Wang und Melanie Winter.
- Kunstuniversität Linz, Abteilung für raum&designSTRATEGIEN (unter der Leitung von Andrea Curtoni, Giulia Mazzorin und Felix Vierlinger): Moritz Gregor Böttjer, Cecilia Bojanic, Leonardo Cattaneo, Viktoria Hauser, Xiling Huang, Kaya Lackner, Tobias Spinka, Rebecca Strasser-Kirchweger, Charlotte Vetter und Chuming Yu.
- Kunstuniversität Linz, Tangible Music Lab – Sound-and-Space-Klasse (unter der Leitung von Florian Goeschke): Ksenia Bakhtina, Sam Bereliani, Saumil Bhandari, Gerold Brunner, Mobina Doost, Gundega Graudina, Andreas Gruenauer, Jonas Hammerer, Hanna Kitter, Maria Pae, Lilith-Isa Samer, Boris Shershenkov und OMZOL.
- Vorträge von Anna Kraher (AT), Valerie Messini (IT), Luka Prinčič (SI) und REINCANTAMENTO (IT/DE).
- Live- und DJ-Sets von QOA & Primeiro (AR), Voiler (AT) und I-ID (IR).
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LINZ FMR ist ein biennales Festival und Format für künstlerische Prozesse und Positionen, das den ephemeren Charakter unserer digitalen und vernetzten Gegenwart reflektiert. Die immer weiter fortschreitende Digitalisierung des Alltagslebens impliziert eine intensive Überlagerung und Schichtung von vertrauten physischen, aber auch fein verwobenen digitalen Räumen. LINZ FMR fokussiert die Verschiebungen, Verwerfungen und Brüche, die in diesem Prozess entstehen und stellt aktuelle künstlerische Positionen in diesem Kontext vor.
Das Festival, dessen Titel auf Vergänglichkeit und Kurzlebigkeit anspielt, präsentiert Arbeiten, deren Ausgangsideen im virtuellen bzw. digitalen Raum zu finden sind oder einen starken Bezug dazu haben, die aber in transformierter Form in der physischen Umgebung der Stadt Linz gezeigt werden. Der Fokus liegt dabei vor allem auf den Zwischenräumen, die bei diesen Transformationen in den öffentlichen Raum entstehen – außerhalb von Museen, Galerien oder Kunsträumen.
Für das Festival verantwortlich zeichnet der Verein „LINZ FMR – Art in digital contexts and public spaces“. Er wurde von den beiden Kunst- und Kulturinitiativen → qujOchÖ und → servus.at, dem → Atelierhaus Salzamt der Stadt Linz, der → Kunstuniversität Linz und der → Sturm und Drang Galerie gegründet. Deren Vertreter*innen sind seit der ersten Ausgabe im März 2019 an der Konzeption, Organisation und Kuratierung des Festivals beteiligt.
LINZ FMR wird von der Stadt Linz als UNESCO City of Media Arts, dem Land Oberösterreich und dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport sowie von zahlreichen Organisationen und Unternehmen unterstützt.