Erdgeschoss:
Bodies of planned obsolescence
von Shu Lea Cheang
Als Teil des Londoner Projekts Body of Planned Obsolescence habe ich im Frühjahr 2015 Elektroschrott-Aufbereitungsanlagen in Lagos und Hongkong besucht. Die Elektroschrotthalte ILETRONIS hinter dem Alaba-Markt in Lagos wirkt wie eine Landschaft aus einer Science-Fiction-Erzählung: mit Elektromüll gezogene Kühe streifen über Hügel; Köpfe tragen Haufen von Schwermetallen; Waagen hängen im Leeren; junge Männer, alte Menschen, Geschäftsleute, Käufer und Verkäufer handeln miteinander – schlagen, klopfen, hämmern, sortieren, wiegen, Naira wandern von einer Hand in die andere. Die un-natürlichen Rohstoffe, die aus den Industrielänern „importiert“ wurden, scheinen unerschöpflich. In der Erzeugung und der Zerstörung jagt die Technologie ihren eigenen Schwanz. Beim Drucken und Auslöschen können die defekten Schaltungen ihre Versprechungen nicht halten. Die Firma Vannex International Ltd in Hongkong sortiert und vermittelt den Elektroschrott weiter. A-Mings geschickte Hände schrauben die ausgesonderten Laptops auf. Jedes einzelne Teil wird wiederverwendet – der Prozessor, der Kühler, die Festplatten. Diese anspruchsvolle Arbeit ist ein Akt der endgültigen Erlösung.
Wildcat Hauling
von FICTILIS (Andrea Steves und Timothy Furstnau)
Wildcat Hauling ist ein laufendes Projekt auf den Straßen von West Oakland in Kalifornien. Ausgehend von unseren beruflichen Erfahrungen – 12 Jahre als Schrott- und Sperrmüllspediteur und sechs Jahre Beschäftigung mit dem Thema Elektroschrott und Nachhaltigkeit – begannen wir mit FICTILIS, uns mit dem illegalen Müllabladen in unserer Nachbarschaft zu beschäftigen, wo wir seit 2012 leben und arbeiten. Dabei haben wir die örtlichen Müllentsorgungsfirmen mit einbezogen, um uns dabei zu unterstützen, die illegalen Müllabladestellen zu säubern.
Illegales Müllabladen ist eine unübersehbare Abweichung vom Standard-Müllfluss, bei dem die Materialien normalerweise verborgen sind, mit Spezialgeräten von spezialisierten Arbeitskräften gehandhabt und während des Transports und der Bearbeitung in unzugänglichen Orten in Schach gehalten werden. Deshalb bietet es eine einzigartige Gelegenheit, umfassendere soziale und ökologische Fragestellungen öffentlich anzusprechen. Deshalb dokumentieren die Freiwilligen von Wildcat Hauling zusätzlich zur Entsorgung des Mülls den Prozess und führen verschiedene Interventionen durch, die anzuregen sollen, über diese weitergehenden Fragen nachzudenken.
I know where your cat lives
von Owen Mundy
I know where your cat lives („Ich weiß, wo deine Katze lebt“) ist ein Datenexperiment, das eine Million öffentlich verfügbarer Bilder von Katzen über die Geodaten, die in den Metadaten eingebettet sind, auf einer Weltkarte sichtbar macht. Die Bilder wurden über frei verfügbare Schnittstellen verschiedener populärer Foto-Plattformen gesammelt und im Rechenzentrum der Florida State University mithilfe von Clustering-Algorithmen gruppiert, um die Dimension der Datenquelle darzustellen.
Das Projekt beschäftigt sich mit zwei Arten der Nutzung im Internet: die gesellige und humorvolle Wertschätzung der felinen Haustiere und den gegenwärtigen Zustand des Umgangs mit privaten Daten vonseiten von Start-ups und Mega-Konzernen im Netz, die die Tendenz ausnutzen, dass Privatsphäre immer unwichtiger wird. Das Projekt visualisiert nicht alle Katzen im Netz, nur diejenigen, die es erlauben, nachzuvollziehen, wo ihre Besitzer sich befunden haben.
Forensic Fantasies
von KairUs (Linda Kronman und Andreas Zingerle)
Forensic fantasies ist eine Serie von drei Kunstwerken, die sich mit Datenpannen privater Informationen beschäftigen. In den Kunstwerken verwenden wir Daten von wiederhergestellten Festplatten, die illegal auf der Elektromüllhalde Agbogbloshie in Westafrika gelandet sind. Reportagen berichten, dass Kriminelle auf solchen Elektroschrott-Halden Festplatten nach Daten durchforsten, um damit von den Vorbesitzern Geld zu erpressen oder die Daten weiterzuverkaufen.
#1: Not a Blackmail
Die erste Arbeit der Serie untersucht die verschiedenen Möglichkeiten, wie ein Vorbesitzer erpresst werden kann. Neben dem Auffinden sensibler Benutzerdaten ist es von entscheidender Bedeutung in der Lage zu sein, die Person zu kontaktieren, um Forderungen zu stellen. Wir konnten den Vorbesitzer einer Festplatte herausfinden. Durch seine Social-Media-Präsenzen konnten wir seine aktuellen Arbeitgeber und andere Kontaktdaten ausfindig machen. Anstatt die Person zu erpressen, wuchs in uns die Neugier herauszubekommen, wie diese Festplatte in Ghana gelandet sein könnte. Würde sich diese Person erinnern, unter welchen Umständen der Computer damals entsorgt wurde? Das ausgestellte Kunstwerk besteht aus einem an den Besitzer adressierten Paket, inklusive Festplatte und einen Brief, den der Besucher lesen kann.
#2: Identity theft
Die zweite Arbeit der Serie nimmt das Phänomen des Romance Scamming in den Blick. Der Betrug geschieht dadurch, das die Scammer mit Bildern attraktiver Menschen, die sie im Netz gefunden haben und die nichts davon wissen, Fake-Profile auf Sozialen-Medien-Plattformen und Dating-Portalen einstellen. Sie geben dann vor, sich in ihr Opfer zu verlieben. Nachdem sie das Vertrauen des Opfers gewonnen haben, bringen sie es dazu, ihnen Geld und teuere Geschenke zu schicken, immer hinter der falschen Identität versteckt.
Auf einer der Festplatten haben wir verschiedene Bilder von zwei attraktiven Frauen gefunden. Durch eine Bildersuche, vor allem in Foren, die vor Romance Scams warnen, haben wir herausgefunden, dass die Bilder dieser Frauen in diesem Kontext oft benutzt werden. Wir haben mehr als 40 aktive Profile gefunden, die die Bilder dieser jungen Frauen verwenden. Wir vermuten, dass die Bilder auf diese Festplatte kopiert wurden, um mit ihnen solche betrügerischen Profile zu erstellen. Die west-afrikanischen Nollywood-Filme (das sind vor allem nigerianische und ghanaische Low-Budget-Produktionen) haben ihre eigene Art, das Phänomen Scamming – das ein bekanntes Problem in diesen Ländern ist – zu behandeln. In der Arbeit kombinieren wir 18 der betrügerischen Online-Profile, die die Bilder benutzen, die wir auf der Festplatte gefunden haben, mit Found-Footage-Clips aus Nollywood-Filmen, die das Thema Romace Scam behandeln.
#3: Found footage stalkers
Die dritte Arbeit der Serie schaut sich die Fotografien genauer an, die auf einer der Festplatten gefunden wurden. Die privaten Fotos der Vorbesitzer dieser Festplatte erlauben es, sich ein sehr persönliches Bild von deren Leben und Gewohnheiten zu machen. Wir folgen ihnen über die Jahre hinweg zu Partys von Freunden, Ausflügen in Vergnügungsparks und Weihnachtsfeiern mit der Familie. Es ist, als ob man einen Unbekannten online stalkt – die Bilder gleichen einander und sind eigentlich langweilig, trotzdem kann man leicht eine Geschichte konstruieren und diesen fragmentierten digitalen Repräsentationen eine Persönlichkeit geben. In dieser Arbeit nutzen wir das Material als Found Footage. Diese filmische Praxis sammelt Material von Trödelläden, Flohmärkten und Haushaltsauflösungen und remixt es, so dass ein neues Kunstwerk entsteht – etwas das Künstler seit Generationen getan haben. Die vorherigen Praxen der Nutzung von Found Footage werden den digitalen Materialien, die in unserem Müll landen, gegenübergestellt. Um das zu erreichen, haben wir das Digitale in sein analoges Äquivalent verwandelt, die Bilder auf Fotopapier ausgedruckt und anhand der Metadaten chronologisch in einem Fotoalbum angeordnet.
Transposon
von Simon Krenn und Matthias Urban
Die Arbeiten dieser Serie beschäftigen sich mit der Untersuchung der Repräsentablität von nicht wahrnehmbaren Signalen und Datenströmen, die in unserer Kultur allgegenwärtig geworden sind. Elektromagnetische Feldsensoren wurden genutzt, um magnetische Felder und Interferenzen der verschiedenen Komponenten von Computer-Festplatten zu erkennen. Diese wurden in dem Forschungslabor „Behind the smart world“ von Linda Kronman und Andreas Zingerle zur Verfügung gestellt. Diese sonifizierten elektromagnetischen Felder wurden mittels eines alten Edison-Phonographs auf die Oberfläche eines Wachszylinders eingeritzt. Die Benutzung von Wachs als Daten-/Ton-Träger führt zu einer dauerhaften Transformation und strukturellen Veränderung der aufgezeichneten Daten und lässt die aufgezeichnete Information in einem veränderlichen und höchst unbestimmbaren Zustand zurück.
Shopimation
von Fabian Kühfuß
Als ich das erste Mal auf die Daten der Festplatte „0020“ Zugriff nahm, stellte ich fest, dass keine Datenstruktur mehr vorhanden war. Ebenso waren die ursprünglichen Benennungen aller Dateien auf der Festplatte von dem Datenwiederherstellungsprogramm überschrieben worden. Ich entschied eine neue, für mich funktionierende Struktur aufzubauen. Während dieses Prozesses des Ordnens fiel mir auf, dass eine Vielzahl von Thumbnails auf der Festplatte gespeichert wurden.
Diese Thumbnails, Platzhalter für die eigentlichen Bilder, sind streng genommen Platzhalter von Platzhaltern realer Geschehnisse oder Objekte. Ein Großteil dieser Platzhalter symbolisiert kommerzielle Produkte wie Kleidung, Schmuck, Make-up etc. Daraus resultierend ergibt sich, dass die Thumbnails auch Platzhalter der ästhetischen Sehnsuchte des ursprünglichen Festplattenbesitzers sind.
Shopimation ist ein Versuch, sich diesem unbekannten Besitzer über seinen ästhetischen Blick zu nähern, repräsentiert durch die Thumbnails der Produktfotos von kommerziellen Produkten.
Vilém Flusser beschreibt in der Technoimagination die erweiterte Codierung der Imagination: Die Imagination wurde von dem geschriebenen Alphabet abgelöst, kodifiziert und nun durch die digitale Revolution der neuen Medien wieder zurück-imaginiert, mittels Programmen und Hardware, in Bilder, Videos und Sound, welche sich als Modell manifestieren, ein Bild eines Begriffs einer Szene.
Dieser Code, erweitert durch das neue Arrangement als Animation in Verbindung mit auf der Festplatte gefundener Musik, ermöglicht eine individuelle Übersetzung einer ästhetischen Sichtweise und somit eine Annäherung, ohne auf personenbezogene Informationen zugreifen zu müssen.
Recycling Yantra
von Raphael Perret
The Dark Side of the Chip (2012 – 2014), Raphael Perret
Raphael Perret zeigt Fotografien und Videos über das informelle Recycling von Elektroschrott in Delhi, Indien. Illegal importierter, wie auch indischer Elektroschrott wird dort auf faszinierende Weise in seine Bestandteile zerlegt und gehandelt. Die Farbenpracht und ästhetische Qualität der Bilder kollidieren mit dem Wissen um die für Mensch und Umwelt schädliche Wirkung der angewandten Verfahren. Für die Betrachter werden die bekannten Oberflächen von Elektronikprodukten mit einer Vorstellung davon ergänzt, was nach unserem Gebrauch damit geschehen kann.
Im Verlauf von mehreren Aufenthalten in Delhi entstand eine Reihe von Arbeiten, welche unterschiedliche Zugänge zur Situation vor Ort ermöglichen sowie das Spannungsfeld zwischen den Technologie treibenden Industrienationen und dem Elektroschrott entsorgenden Indien aufgreifen. Die Suche nach einer Ästhetik von technologischem Zerfall bringt hervor, was sich unserer unmittelbaren Wahrnehmung entzieht. Die scheinbar weit entfernten indischen Arbeiter rücken näher und eine Geschichte von wertvollen Ressourcen, Giftstoffen und der Ausnutzung von Armut entfaltet sich.
Die Publikation 'Machines of Desire' dokumentiert das Projekt aus multidisziplinärer und multikultureller Perspektive.
Shell performance
von Martin Reiche
Shell Performance ist eine Open-Source-Kunstinstallation, die das Betriebssystem eines Computers als performativen Raum versteht. Die Performance ist getrieben durch die Daten auf den Festplatten des Rechners sowie aller verbundenen Speichermedien, wodurch sich auf unterschiedlichen Rechnern trotz des gleichen Programms immer eine andere Performance ergibt.
Das zugrundeliegende Programm, ein Linux-Shell-Skript, ist vom Tag der Ausstellungseröffnung an auf Github (https://github.com/studiomrb) für die Öffentlichkeit verfügbar. In der Ausstellung basiert Shell Performance auf den Daten der Festplatten, die durch das KairUs-Kollektiv 2014 auf einer Müllhalde für Elektroschrott in Ghana gesammelt wurden.
Shell Performance beschäftigt sich mit Fragen zu Datenintegrität sowie Privatsphäre und simuliert ein digitales Spiel, das durch die Software auf den Daten eines Geräts gespielt wird, und offenbart dadurch die fragwürdige Beziehung, die wir in der heutigen Zeit zu den Daten auf unseren persönlichen Geräten haben. Auch der Zwang, aus Angst vor dem Verlust von Daten durch Fehlfunktion oder Fremdeinwirkung alles zu speichern und damit ungewollt Dritten (wie z.B. Sicherheitsbehörden und Telekommunikationsfirmen) weltweit zur Verfügung zu stellen, wird durch die Installation aufgegriffen.
Shell Performance soll vom Betrachter als Kunstwerk und weniger als Software verstanden werden und wird daher unter einer für Programmcode unüblichen Creative-Commons-BY-4.0-Lizenz veröffentlicht.
Goodnight Sweetheart
von Audrey Samson
Haben Sie je daran gedacht, Ihren kompletten digitalen Fußabdruck zu löschen? All diese Selfies, archivierten E-Mails, Tweets, Likes, Check-ins, nächtlichen Chat-Sessions… Wir wissen nie genau, was wir mit unseren alten Speichermedien tun sollen – die Festplatten, die alten Mobiltelefone voll von Geheimnissen – Geheimnisse, von denen wir manchmal selbst vergessen haben, dass es sie gibt. Aber wir fürchten uns davor, sie ziehen zu lassen, weil wir nicht sicher sind, dass wir sie wirklich los werden wollen; weil wir uns fragen, was mit ihnen geschehen, wer sie finden und was derjenige mit ihnen anstellen würde… Wir wissen nicht, ob unsere Ängste berechtigt sind, aber wir haben sie trotzdem. Goodnight Sweetheart ist ein Service, der Daten und Geräte einbalsamiert – eine partizipative Installation, bei der die Besucher eingeladen sind, sich von ihren Daten zu befreien. Die Arbeit inszeniert eine Daten-Beerdigung für digitale Fußabdrücke und Identitäten. Die nicht mehr benötigten Geräte werden in flüssiges Plastik gegossen und von der Decke gehängt. Sie bilden einen Friedhof kristallisierter Erinnerungen. Erinnerungen in Kunstharz eingegossen, die Daten für immer aufbewahrt.
Bilder einer Ausstellung
von Wolfgang Spahn
Der Kern der Installation Bilder einer Ausstellung von Wolfgang Spahn besteht daraus, dass alte Datenspeicher wieder aufgearbeitet werden. Dadurch werden kaputte DVDs in eine audiovisuelle Installation verwandelt.
Vor hundert Jahren stellte der italienische Futurist Luigi Russolo seinen Intonarumori vor und baute der Bauhaus-Künstler László Moholy-Nagy seinen Licht-Raum-Modulator. Die erste Maschine erzeugt Geräusche und die zweite bewegte Licht-Schatten-Muster. Beide Aspekte sind ein wesentlicher Bestandteil der Installation Bilder einer Ausstellung. Eine laborartige Kulisse dient als Generator für beides – abstrakte Projektionen und die korrespondierenden Geräusche.
Im Gegensatz zur Komposition von Modest Mussorgski „Bilder einer Ausstellung“ wird der Ton direkt vom Bild aufgezeichnet. Die „Bildscheiben“ bestehen aus transparenten Miniaturbildern auf ausgemusterten DVDs. Die Layer der optisch gespeicherten Daten werden dabei mit unterschiedlichen chemischen und magnetischen Verfahren behandelt, wie zum Beispiel Ferrofluide und Schellack. Ein Laser tastet daraufhin das sich drehende Bild optisch ab. Der Lichtstrahl wird dann in ein elektrisches Signal verwandelt, das von einem elektrischen Schaltkreis – basierend auf einer analogen 808 Drum-Machine – moduliert wird. Eine Raspberry-Pi-Kamera mit einem Makroobjektiv filmt und vergrößert das abstrakte Bild und projiziert es über eine Lochkamera-Installation. Alle Verfahren und Geräte nutzen offene Hard- und Software und sind auf der Webseite des Künstlers dokumentiert.
The Italian Job
von Emilio Vavarella
The Italian Job ist eine Serie konzeptueller künstlerischer Arbeiten, die die versteckten Strukturen hinter Begriffen wie Originalität, Recht, künstlerischer Legitimität, kollektiven Prozessen, digitaler Arbeit und dem Verhältnis zwischen Künstlern und Kuratoren im Internet-Zeitalter beleuchten möchte. Der Titel bezieht sich auf die italienischen, politischen Philosophen, die kollektive Prozesse und theoretische Praxis in den Mittelpunkt stellt.
Die zweite Arbeit in der Serie The Italian Job heißt An-Archiving Game und hatte ihren Anfang innerhalb des „National Stolen Art File“-Archivs des FBI, einer digitalen Datenbank gestohlener Kunstwerke, die vom Nachrichtendienst der USA angelegt wurde. Gemeinsam mit den Kuratoren Bosaro und Stanisic, deren Beschreibungen der Kunstwerke integrale Bestandteile der Arbeit sind, habe ich eine Ausstellung zusammengestellt, die die Kopien von gestohlenen Fotografien benutzt. Diese originalen Kopien wurden über eine experimentelle Plattform namens OpenBazaar verkauft. OpenBazaar ist ein dezentrales Netzwerk für Peer-to-Peer-Handel – ohne Gebühren, ohne Mittelsmänner. Der Code ist als Open Source freigegeben; die Handelswährung beruht auf Bitcoins. Das Ergebnis ist ein offenes Netzwerk, das nicht eingeschränkt und kontrolliert werden kann.
HEADCRASH
von Michael Wirthig
Der physische Ort, die magnetische Scheibe, auf welcher alle Daten gespeichert und festgehalten werden ist, für mich der spannendste Aspekt dieser Festplatten. Das Zerlegen von Objekten, Maschinen und pflanzlichen Strukturen, um die Beziehung zwischen Innen- und Außenwelt zu studieren und die einzelnen Bestandteile sichtbar zu machen, spielt in meiner künstlerischen Arbeit eine große Rolle. Bei HEADCRASH habe ich die magnetischen Scheiben von zwei Ghana-Festplatten seziert und dabei die Oberfläche mit einem Mikroskop untersucht. Die daraus entstandenen mehr als 1.500 Einzelbilder von inneren und äußeren Zerstörungen, wie Kratzer und Staub, die auf die Festplatte eingewirkt und diese beschädigt haben, ergeben eine zwei Minuten lange Tour de Force über die Innenwelt dieser Ghana-Festplatten.
Forschungsgruppe „TIMES OF WASTE“
Die interdisziplinäre Forschungsgruppe besteht aus einem Kernteam von sechs Personen aus unterschiedlichen künstlerischen und wissenschaftlichen Disziplinen, angefangen von visueller Anthropologie, über Umweltforschung und Kunstheorie, bis zu Bühnenbild, Musik und Programmierung: Flavia Caviezel (Leitung), Mirjam Bürgin, Anselm Caminada, Adrian Demleitner, Marion Mertens, Yvonne Volkart und Andreas Simon (assoziiert). Die meisten Mitgleider haben schon 2010- 2013 beim Projekt „RhyCycling – Ästhetik der Nachhaltigkeit im Basler Grenzraum“ zusammengearbeitet. Das Projekt „Times of Waste“ läuft von 2015 bis 2017. Beide Projekte sind am Institut Design- und Kunstforschung der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW (Fachhochschule Nordwestschweiz) angesiedelt.
Untergeschoss:
Location
von Joakim Blattmann
Die Komposition beruht ausschließlich auf einer Auswahl von Audio- und Videodateien, die auf den Ghana-Festplatten gefunden wurden. Einige Sekunden der Samples aus jeder Datei wurden stark verändert, so dass ihr ursprünglicher Inhalt nicht wiederzuerkennen ist. Dies wurde durch den Einsatz unterschiedlicher externer Hardware-Werkzeugen und Software erreicht. Andere Teile des Soundmaterials bestehen aus manipulierten Aufnahmen der physischen Platten selbst, die mit Kontaktmikrofonen und elektromagnetischen Spulen erstellt wurden. Die Arbeit wird als Soundinstallation mit vier bis acht Lautsprechern präsentiert, je nachdem wie viel Platz im Ausstellungsraum ist und wo die Arbeit positioniert ist.
DEL?No, wait!REW
von Michaela Lakova
DEL?No, wait!REW ist ein automatisiertes System, das Dateien von Festplatten wiederherstellt, ohne die Erlaubnis der vorherigen Besitzer, die glauben, dass ihre Inhalte für immer gelöscht sind. DEL?No, wait!REW stellt die Frage, ob es im digitalen Zeitalter überhaupt möglich ist, Informationen zu löschen. Egal ob unsere Speichermedien lokale Festplatten oder in der Cloud verlagert sind, können wir je sicher sein, dass unsere Daten dauerhaft gelöscht werden? Welche Rolle nehmen wir in der laufenden Diskussion über die Unmöglichkeit, digitale Spuren zu löschen, ein? Sind wir Plünderer, Dolmetscher oder Vermittler? Die Installation stellt die Zuschauer einer Entscheidung oder ethischen Wahl gegenüber: Soll man eine wiederhergestellte Datei löschen oder retten, indem man sie online veröffentlicht? Diese Version der Installation DEL?No, wait!REW benutzt Daten von Festplatten, die in der Elektroschrott-Deponie Agbogbloshie in Accra, Ghana, erworben wurden.
Center of Doubt
von Ivar Veermäe
Center of Doubt ist ein künstlerisches Forschungsprojekt, das langfristig angelegt ist. Das Ziel ist es, das Verschwinden und wieder Auftauchen von Netzwerk-Technologie, ihre Infrastruktur und Repräsentation zu erforschen und zu visualisieren. Center of Doubt ist eine Sammlung visueller Spuren, die die Datenindustrie unserer Tage nachzeichnen.
Zwei verschiedene Ansätze bieten einen Einblick in die komplexe und tendenziell undurchsichtige Natur von Datenzentren und Kommunikationstechnologien: auf der einen Seite über die Untersuchung der Materialität und der Verortung dieser Infrastruktur in der physischen Welt; auf der anderen Seite über den Versuch einer alternativen Visualisierung der Probleme, die mit Informationstechnologie verbunden sind, die normalerweise mit „wolkigen“ Begriffen und Bildern, mit Science-Fiction-Metaphern oder überhöhter militaristischer Sprache dargestellt werden.
Das Auftauchen von kommerziellen Cloud-Computing-Diensten oder genauer gesagt der Datenzentren und der unterstützenden Infrastruktur wird als Wendepunkt einer neuen Ära des zentralisierten Internet dargestellt: Große Konzerne treten gegeneinander an, um für ihre Soft- und Hardware den Status eines grundlegenden Informationskanals zu erkämpfen, als informationeller Layer im Netzwerkmodell unserer Netzwerkgesellschaft.
Ausstellungsbeiträge: Behind the Smart World
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